P. A. Schweizer: Johann Jakob Schweizer und die Helvetik

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Titel
Johann Jakob Schweizer und die Helvetik. Der streitbare Pfarrer zu Embrach


Autor(en)
Schweizer, Peter Alexander
Reihe
Edition Voldemeer
Erschienen
Zürich 2021: de Gruyter
Anzahl Seiten
241 S.
von
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Mit dem höchst eigenwilligen Pfarrer Johann Jakob Schweizer hat sich schon Paul Wernle in seinem Grundlagenwerk zum Protestantismus in der Helvetik intensiv beschäftigt und den politischen Aktivisten nicht zuletzt auch als Sonderling charakterisiert, der intensiv die neuen Möglichkeiten der erstmals in einer Schweizer Verfassung garantierten Pressefreiheit nutzte, um in Flugschriften und als Redakteur des Neuen Helvetischen Volksblatts die Geduld der helvetischen Regierung auf die Probe zu stellen. Mit seinem «Entwurf eines Memorials» forderte er 1800 gleich das ganze Parlament zum Rücktritt auf und bewies, dass die neuen bürgerlichen Freiheiten der Helvetik auch für die neuen Herren in der helvetischen Regierung wie in den neuen kantonalen und örtlichen Institutionen noch ungewohnt waren. Jedenfalls endete der Streit vor Gericht, wo Schweizer mit einer zweijährigen Eingrenzung in seine Pfarrgemeinde und einem Publikationsverbot belegt wurde.

Die vorliegende liebevolle, vom Verlag schön ausgestattete Biografie Schweizers ist von einem Ururenkel verfasst, der sich wenig um die Forschung zur Helvetik schert und seinem Vorfahren ein Denkmal setzen will. Dabei verhehlt er nicht die Sympathie für seinen Ahnherrn und eine ausgeprägte Abneigung gegenüber der Helvetischen Republik. Letztere äussert sich etwa in der Behauptung, in der Helvetik habe wie nie zuvor ein «antireligiöser Wind» geweht (S. 28), wo es doch tatsächlich erstmals in der Schweiz Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche gab. Natürlich aber traf einen Mann wie Pfarrer Schweizer der mit der Helvetik vollzogene Ausschluss der Geistlichen vom politischen Leben. Anschaulich gelingt es dem Biographen darzustellen, welchen Schmerz es für den traditionsbewussten Züricher Stadtbürger bedeutete, den epochalen Wandel zu erleben, der in der Aufhebung der traditionellen politischen und ökonomischen Vorrechte der Stadt- gegenüber der Landbevölkerung bestand. Als Seelsorger hatte Schweizer wenige Jahre vor der Helvetik den zum Tode verurteilten Mitverfasser des Stäfner Memorials, das die Aufhebung der städtischen Privilegien forderte, vor der Scheinexekution seelsorgerisch betreut. Im August 1798 musste er dann erleben, dass die Bevölkerung seiner Embracher Gemeinde in der Dorfkirche fast einhellig auf die neue helvetische Verfassung schwor und dies auch noch mit einem aus der Gemeindekasse finanzierten Fest beging.

Seine gegenrevolutionäre publizistische Tätigkeit begann Schweizer im Mai 1800 mit einer Wochenschrift, die er ausgerechnet als «Neues helvetisches Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung der Bürger» betitelte und damit auf das von Pestalozzi 1798 redigierte, schnell gescheiterte regierungsoffizielle Blatt gleichen Titels anspielte. Hatte Pestalozzi als Ursache der revolutionären Umwälzung die «innere Fäulniss» der Alten Eidgenossenschaft genannt, so bestritt Schweizer jeden vernünftigen Grund für die Errichtung eines neuen Staatsgebäudes und charakterisierte die Träger der Revolution als «von Stolz und Ehrgeiz geblendet, / Flammen speiend, zu schaurichter Höh’ durch Gewalt Euch erhoben / Und durch Hochverrath!» Dass er dies mit höchst interessanten Überlegungen zur Volksaufklärung tat und ein Beispiel dafür liefert, wie nun in der Schweiz die öffentliche publizistische Auseinandersetzung um die aktuelle Politik geführt wurde, lässt das Blatt als wichtige Quelle auch dafür erscheinen, wie nun selbst diejenigen die neuen publizistischen Mittel nutzten, die bis 1798 durchweg Anhänger einer rigorosen Zensur waren.

An Schweizer zeigte sich beispielhaft, dass es mit der neuen Pressefreiheit angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen im Zweiten Koalitionskrieg in der Helvetik nicht mehr allzuweit her war. Dies vermag der Autor mit interessanten Details zu veranschaulichen. Dass der angeklagte Pfarrer sich ausgerechnet vor einem ländlich-bäuerlichen Laiengericht mit mehrheitlich von den Revolutionszielen überzeugten Richtern verantworten musste, traf den Stadtbürger hart. Seine Verteidigung belegt, dass er von seinem Standesdünkel nichts abgelegt hatte. Bemerkenswert ist die Anklagerede des Distriktrichters Johannes Morf.1 Sehr schön lässt der Biograph Schweizers deutlich werden, wie im Gerichtssaal zwei Welten aufeinanderstiessen und die Polarisierung unter den Schweizern deutlich wurde, durch welche die Helvetik charakterisiert war. Im Kern stand die Frage im Mittelpunkt, ob man die wegen ihrer Leistungsmängel kritisierten Volksvertreter auch
charakterlich als «Lügner» oder «Kirchen- und Eigenthumsräuber» abqualifizieren durf te. Nicht die Pressefreiheit war somit das Thema, sondern es wurde die Frage nach deren Grenzen gestellt. Der Ankläger Johannes Morf sprach von Schweizers grosser Verachtung gegen das ländliche Gericht, der Pfarrer habe deutlich zu verstehen gegeben, «das Bauerngericht sollte es noch für eine Ehre halten, dass ein so wichtiger Mann, ein Städter, ein Gelehrter, ein Schriftsteller vor ihm erscheine» (S. 228).

Die eigenwillige, aber zweifellos lebendige und lesenswerte Biografie zeichnet auch die Jahrzehnte des weiteren Lebenswegs Schweizers als Pfarrer in Nidau, Guttannen und Trub nach, auch kommt er mit seinen gekonnten lyrisch-satirischen Werken zu Wort kommen. Das, wie der Nachfahre Schweizers meint, «düstere Kapitel der Helvetik» hat immerhin das Verdienst, dass der aufmüpfige Pfarrer mit seinen Provokationen der Obrigkeit im Gedächtnis bleibt

1 Es ist bedauerlich, dass Morf wie andere vor 1798 von politischer Verantwortung ausgeschlossene, nun noch unerfahrene prohelvetische Akteure im Historischen Lexikon der Schweiz der Aufnahme nicht für würdig befunden wurde.

Zitierweise:
Böning, Holger: Rezension zu: Schweizer, Peter Alexander: Johann Jakob Schweizer und die Helvetik. Der streitbare Pfarrer zu Embrach, Zürich 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 301-303. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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